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Margot-Kaessmann |
Der Umgang mit den Verstorbenen ist für Frau Käßmann ein Zeichen gesellschaftlicher Zustände. Gräber sind für sie individuelle Erinnerungsorte und Friedhöfe ein Zeichen gegen die bloße Entsorgung einer materiellen Hülle in der Anonymität.
Wir freuen uns das Interview exklusiv für die Kunden und Besucher auf unserer Website mit Genehmigung der Fachzeitschrift Stein, veröffentlichen zu dürfen.
STEIN: Laut einer Umfrage der Zeitschrift »chrismon« möchten nur noch 22 Prozent der Deutschen dort beerdigt werden, wo die Familienangehörigen bestattet sind. Für zwölf Prozent ist es sogar egal, wo sie zur letzten Ruhe kommen. Der Tod wird verdrängt; einerseits. Sterben findet im Abseitsstatt. Andererseits hat der Tod Event-charakter.Trauerfeiern wie für den Fußballer Robert Enke zeigen dies. Eigentlich doch zwei ganzunterschiedliche Phänomene?
Margot Käßmann: Zwei Phänomene, die natürlich eng zusammenhängen.Gerade, weil der Tod verdrängt wird, sind die Menschen erschrocken, wenn sich ein Mensch das Leben nimmt, der den Mythos von Leistungsfähigkeit, Erfolg und Glück verkörpert hat.Jetzt suchen die Menschen Unterstützung. Sie besinnen sich auf traditionelle Worte und Werte.
STEIN: Brauchen Menschen bestimmte Rituale, um ein derartiges Erlebnis zu verkraften?
Margot Käßmann: Ja! Es ist wichtig, bei einer Beerdigung den Ablauf zu kennen, dem man folgen kann: der aufgebahrte Sarg, der Abschied am Sarg, der gemeinsame Weg zum Friedhof. Die Autos halten an, stellen ihre Motoren ab. Das sind Rituale,die eine Gemeinschaft tragen. Rituale fangen viel von der Beklemmung auf, sie geben den Trauernden die Möglichkeit, in einem festen Rahmen zu agieren. Leider haben heute viele Menschen das Gefühl für Rituale verloren,haben sich von ihnen entfremdet oder kennen sie gar nicht mehr. Ich merke immer wieder, man muss den Menschen wieder das Handwerkszeug geben, Rituale zu erlernen. Wann immer wir große Fragen haben, und das betrifft gerade Situationen von Sterben und Trauer, helfen uns Rituale und die Worte anderer, damit wir in die Welt wieder hineinfinden.
STEIN: Die Menschen suchen auf der anderen Seite aber auch nach neuen Ritualen.
Margot Käßmann: Ich denke, der Tod eines Nahestehenden versetzt die Hinterbliebenen zunächst in eine Schock-Situation. Selbst wenn der Tod abzusehen war. In so einer Situation kann man nicht unmittelbar eigene Rituale finden, man braucht Hilfe von außen. Ich finde, das ist ein interessantes Phänomen in der Bestattungskultur, dass sich zwei extreme Tendenzen abzeichnen, Die eine so anonym wie möglich und die andere so individuell wie möglich. Die einen individualisieren alles, selbst den Tod, und haben die finanziellen Möglichkeiten dazu. Andere suchen den Weg der Anonymisierung: kein Sarg, kein Grab; einfach nichts. Ich trete immer wieder dafür ein, dass wir die Namen der Toten an einem Grab nennen. Wir als Kirche sollten deutlich gegen die Anonymisierung eintreten. Wir brauchen einen Ort zur Trauer, an dem wir eine Blume ablegen können. Das finde ich tausendmal besser als eine anonyme Bestattung, die keinen Ort kennt. Der Friedhof ist ein Ort der Würde, kein Ort der Angst. Hegen und pflegen wir unsere Friedhöfe.
STEIN: Woher kommt diese Tendenz zur Anonymisierung?
Margot Käßmann: Viele Menschen sind heute schon sehr allein. Wenn sie keine Kinder haben, aber auch, wenn diese Kinder weit weg leben. Ich denke, dass unsere Gesellschaft nicht so viel Mobilität verträgt wie von ihr verlangt wird, weil eine nur mobile Gesellschaft dann keine Orte mehr hat, an denen Kinder erzogen, an denen Alte gepflegt werden können und an denen wir uns beheimaten – auch durch Kultur und Tradition. Eine Gesellschaft, die keine solchen Orte mehr kennt, ist für mich eine Gesellschaft, die unter Kulturverlust leidet, weil sie nicht mehr weiß, woran sie sich orientieren soll. Der Friedhof ist ein Spiegel der Gesellschaft, weil er auch den Rückgang der Verwurzelung im christlichen Glauben deutlich macht. Zum anderen beobachten wir eine starke Ökonomisierung des Sterbens: Wer soll mein Grab pflegen, was kostet das?
STEIN: Heute boomen in Deutschland vor allem die nichtkirchlichen Bestattungen, so eine neue Studie. Wie kann die Kirche reagieren?
Margot Käßmann: Ich bin dafür, dass wir uns öffnen für die individuellen Wünsche von Menschen, die ihr Grab besonders gestalten wollen, und viele unserer kirchlichen Friedhöfe haben inzwischen auch Felder, in denen das gut möglich ist. Aber wir müssen auch darauf achten, dass Individualität nicht bedeutet, dass wir keine öffentlichen Friedhöfe mehr haben. Ich wehre mich dagegen, dass wir unsere Toten einfach in Wäldern sozusagen der Natur übergeben. Da gibt es esoterische Vorstellungen vom Fruchtbarwerden, vom Einswerden, die ich für wirklich schwierig halte. Sie haben recht, es boomen zurzeit die Unternehmen, die eine scheinbare oder tatsächliche Individualität der Bestattungsriten in den Vordergrund stellen. Ich wünsche mir, dass wir als Christen sehr deutlich machen, dass wir ein Angebot haben, das 2000 Jahre alt ist, dass die christliche Verkündigung eine Verkündigung ist, die nicht mit dem Exitus endet.
STEIN: Ganz konkret: Die Bestattungskultur ist in Bewegung geraten, und auf dem Markt der Rituale ist für Viele die traditionelle Bestattung nicht mehr die erste Wahl. Steht der Friedhof als Ort der Trauer zur Disposition?
Margot Käßmann: Gerade heute in einer Zeit der Mobilität ist die Frage wichtig: Wo bleiben die Toten. Friedhöfe sind heute als Orte der Erinnerung wichtig, eben weil sie uns beheimaten. Deswegen bin ich auch dagegen, dass Menschen ihre Angehörigen im Ausland einäschern lassen, die Urne mitnehmen und sich ins Regal stellen. Der Friedhof ist ein wichtiger Ort für den Trauerprozess. Es ist wichtig, dass jemand, der einen nahestehenden Menschen verloren hat, hinauskommt aus dem eigenen Haus, den Toten nicht noch dort behält. Der Friedhof schafft die nötige Distanz, auch für ein neues Leben. Der Friedhof ist ein Ort, an dem man kommunizieren kann, an dem man von anderen gefragt wird, wie es einem geht. Der Friedhof hat die Funktion, die Menschen ins Leben zurückzuholen.
STEIN: Bedeutet das, dass der Friedhof wieder mehr zum Zentrum des Lebens werden muss?
Margot Käßmann:Der Theologe Fulbert Steffensky hat einmal gesagt: »Heimat ist da, wo wir die Namen der Toten kennen. « Ich finde, das ist ein sehr anrührender Satz, denn Friedhöfe erzählen ja auch Geschichten einer Gemeinschaft – sei es, dass man einen Toten noch persönlich gekannt hat oder zum Beispiel an den Todesdaten ablesen kann, in welchen Jahren die Gemeinschaft viele ihrer
Mitglieder verloren hat.
STEIN: Der Kulturraum Friedhof?
Margot Käßmann: Ich denke, dass der Friedhof wieder mehr als kultureller Ort gesehen werden muss. Da haben wir in den vergangenen Jahren auch als Kirche Fehler gemacht. Die Friedhofsordnungen waren zu strikt. Individualität hatte viel zu wenig Raum. Wir müssen der Individualität des Menschen wieder mehr Entfaltungsmöglichkeiten geben. Das gilt auchfür die Liegezeiten. Vielleicht entscheiden sich Menschen jagerade deswegen für den Friedwald, weil hier eine dauerhafte Liegezeit gewährt wird. Auf so etwas müssen Friedhöfe heuteauch eingehen. Wir brauchen auch mehr Angebote, was dieGrabstätten betrifft: Zum Beispiel Felder für Urnenbestattungen, wo die Namen der Verstorbenen auf einer Gemeinschaftsstele zu lesen sind. Wenn Menschen wissen, dass es so etwas gibt, geht die Anzahl der anonymen Bestattungen sofort zurück. Es ist auch eine Grundvoraussetzung für viele, zu wissen, dass die Grabpflege gesichert ist. Viele alte Menschen wollen damit ihre Nachkommen nicht belasten. Der Friedhof als Ort des Erinnerns, aber auch als Ort, an dem ich über meine eigene Endlichkeit nachdenke, ist für mich eine kulturelle Institution. Dem Menschen wohnt eine Sehnsucht inne, einen definierten Ort zu haben, an dem er sich an seine Verstorbenen erinnern kann. Das wird ganz deutlich bei Rasenbestattungen bei denen die Angehörigen dann oft die Stelle wissen wollen, an der die Urne der Großmutter begraben wurde.
STEIN: Was kann man tun, um eine positive Einstellung zum Friedhof den Menschen wieder näher zu bringen?
Margot Käßmann: Erstens über die Themen »Tod und Sterben« sprechen. Der Mensch weiß um seine Sterblichkeit, und ich werbe dafür, dass Menschen sich vorbereiten, dass sie wirklich mit ihren Angehörigen darüber reden, wie sie bestattet werden möchten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das wunderbare und tiefgründige Gespräche sein können. Es ist ja auch für die Hinterbliebenen eine große Erleichterung, zu wissen, dass sie das tun, was sich der Verstorbene gewünscht hat. Das hilft zudem bei der Verarbeitung der Trauer. Außerdem bin ich dafür, dass die Menschen die Rituale, die damit zu tun haben, wieder kennenlernen, Kinder auch mitgenommen werden auf den Friedhof. Kinder sehen in den Medien jährlich zigtausende Tote und Sterbende, und dann heißt es beim Todesfall in der
unmittelbaren Umgebung, dass sie zu einer Beerdigung nicht mitgenommen werden können.
STEIN: Wie sollte ein solcher Ort, der vor allem auch für die Lebenden eine wichtige Funktion erfüllt, aussehen?
Margot Käßmann: Ich stelle ihn mir idealerweise wie eine Parkanlage vor, mit vielen Bäumen. Ein Ort eben, an dem man sich wohlfühlt, zu dem man gerne geht. Ein Friedhof ist kein Ort außerhalb des Lebens, sondern ein Ort im Leben. So gesehen dürfen dort auch Veranstaltungen stattfinden.Nichts spricht gegen ein Konzert oder eine Theaterveranstaltung auf dem Friedhof, solange die Pietät gewahrt bleibt.
STEIN: Was bedeutet hier Pietät?
Margot Käßmann: Der Respekt vor den Toten, aber auch vor der Trauer anderer Menschen und vor deren Empfinden. Die Würde des Ortes muss erhalten bleiben. Wird das berücksichtigt, so kann ich mir hier Vieles vorstellen, das die Menschen auch dorthin lockt, den Friedhof als Lebensraum erlebbar macht. Ein Ort, an dem ich beheimatet bin durch
die Toten.
STEIN: Stichwort Heimat: kann der Friedhof als statischer Ort in unserer mobilen Gesellschaft so funktionieren?
Margot Käßmann: Ich glaube, dass gerade in unserer mobilen Gesellschaft die Menschen eine starke Heimatverbundenheit haben. Das wird schon anhand der hohen Pendlerzahl deutlich, die wir hier in Deutschland haben. Diese Pendler nehmen in Kauf, über eine Stunde zur Arbeit fahren zu müssen, weil sie an dem Ort Leben wollen, den sie als Heimat empfinden. Der Mensch hat gerade in unserer unruhigen Welt Sehnsucht nach einem Ort, an demer seine Wurzeln hat. Diese Verwurzelung kann auch der Ort Friedhof bieten. Den Frieden, den ich finden muss im Leben, an den erinnert mich ein Friedhof, und an manchen Tagen ist es wichtig, dass ich den Friedhof aufsuche, damit ich auch Frieden mit mir und meinem Leben
finden kann. Friedhöfe müssen öffentliche Orte sein, die ich aufsuchen kann. Wenn einer die Urne mit nach Hause nimmt, dann sehe ich zwei besondere Probleme: Das eine ist, wir brauchen auch den Abstand zu den Toten. Wenn ich zum Friedhof gehen muss, um meine Verstorbenen zu besuchen und dann nach Hause gehe, ist auch mir klar, hier ist Trauerabstand. Das andere ist, dass ich es problematisch finde, wenn wir die Trauer derart individualisieren, dass ich Anspruch auf den Toten erhebe, auch weil die Friedhöfe dann nicht mehr die Orte sind, an denen wir als Gemeinschaft Abschied nehmen können.
Danke an der Fachzeitschrift Stein für die Erlaubnis das Gespräch auf unser Internetseite abbilden zu dürfen.
Mit Margot Käßmann sprachen Ariane Suckfüll und Willy Hafner
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